Über die Einführung eines Ethikunterrichts und die Entfernung des verpflichtenden konfessionellen Religionsunterrichts durfte ich schon öfter diskutieren. Jahrelang war eines der Hauptargumente, den Religionsunterricht in der Schule zu belassen, dass andernfalls Radikalisierung in "Hinterhöfen" stattfinden würde. Dieses Argument ist an sich schon dümmlich. Wenn an religiösen Inhalten etwas problematisch ist, kann die Lösung nicht darin bestehen, eine mildere Form religiöser Erziehung in der Schule anzubieten.
Mittlerweile haben sich die Hinterhöfe virtualisiert und sind nun vor allem auf Tiktok zu finden. Nach den jüngsten religiös motivierten Attentaten, zuletzt am 15. Februar in Villach, bei dem ein 14-Jähriger erstochen wurde, wird die Schuld nun auf die chinesische Plattform Tiktok geschoben. Es mag sein, dass das Netzwerk und seine Algorithmen, die Radikalisierung online verstärken, aber um etwas zu verstärken, muss es grundsätzlich inhaltlich einmal vorhanden sein. Tiktok macht die Inhalte nicht; es ist die Religion, die sie produziert. Eine De-Radikalisierung kann sicher nicht ausschließlich über ein Regulierung gegen Tiktok führen, sondern muss die Religionsgemeinschaften auch ins Gebet nehmen.
Eine sinnvolle Maßnahme in einem Prozess, der religiöse Radikalisierung zurückdrängt, wäre es, den Religionsunterricht in den Schulen zu beenden und die tatsächlich Vermittlung von Religionen in einem soziologischen, philosophischen und geschichtlichen Kontext in einem oder mehreren Fächern unterzubringen. Religion soll nicht aus der Schule verschwinden, sondern kritisch von außen und nicht missionierend von innen, vom Subjekt zum Objekt im Unterricht gemacht werden.
Singen für den säkularen Staat
Die “Die Hymne des säkularen Staats” aus dem Newsletter vom 16. Dezember ist in einer überarbeiteten Fassung nun auf Materie zu finden.
Wer sich weiter dafür interessiert, ob das Singen der Hymne beim Erwerb der Staatsbürgerschaft verpflichtend ist, sei dieser Text aus juristischer Perspektive dringend empfohlen. Martin Spitzer hat mich auch auf einen weiteren seiner Texte zum folgenden Thema (OGH/FPÖ/Tagespresse) hingewiesen, den ich hier auch gerne mit Empfehlung verbreite.
Die Kunst der Täuschung
(erschienen als Gastkommentar in der Presse vom 19. Februar)
Satire darf alles sagen, aber das trifft nicht automatisch auf jedes dafür eingesetzte Werkzeug zu.
Die Reaktionen auf satirische Inhalte können lebensgefährlich oder tödlich sein, wie das Massaker in der Redaktion von Charlie Hebdo in Paris 2015 oder brennende Botschaften im Jahr 2006 nach der Veröffentlichung von „Mohammed-Karikaturen“ in der dänischen Tageszeitung Jyllands-Posten beweisen. Satire provoziert manche Menschen so sehr, dass sie darauf mit religiös motivierter Gewalt antworten. Vor allem Muslime haben hier eine sehr kurze Zündschnur. Die öffentlichen Debatten verlaufen in Folge immer entlang der Frage, wie weit Satire gehen darf und nur nachgelagert, warum Religion hier eine besondere Schutzwürdigkeit genießt, die in Österreich auch tatsächlich strafrechtlich (“Blasphemie” § 188 StGB) normiert ist. Ebenso in Deutschland, das auch Organe und Vertreter ausländischer Staaten in ähnlicher Art und Weise bis vor wenigen Jahren vor Majestätsbeleidigung geschützt hatte. Ein deutscher Komödiant unterwarf 2016 mit dem Vortrag eines Gedichts über den türkischen Staatspräsidenten Recep Erdoğan im öffentlich-rechtlichen Fernsehen diese Bestimmung einem Praxistest und setzte eine Diskussion in Gange, die mit der Abschaffung des entsprechenden Paragraphen endete. Ganz nüchtern und noch ohne Wertung können wir feststellen, dass an manchen Punkten die freie Meinungsäußerung nicht egalitär, sondern durch ein vermeintlich erweitertes Schutzinteresse bevorzugend eingeschränkt ist.
Freiheitliche Gewaltfreiheit
In seinen Folgen gewaltfrei, für internationale Beziehungen irrelevant, aber als Beitrag zur Debattenschärfung ebenso gut geeignet, die Frage zu erörtern, wie weit Satire gehen darf, ist der ausjudizierte Rechtsstreit zwischen der Tagespresse und der FPÖ Niederösterreich. Das Satiremedium verschickte Briefe im Namen und mit einem Logo der FPÖ an Wirte in Niederösterreich, um sie darüber zu informieren, dass sie einer Art praktischem Patriotismus-Test unterworfen werden. Damit wurde humoristisch die fremdenfeindliche Disposition der sozial-nationalistischen Partei (in der Selbstbezeichnung “soziale Heimatpartei”) überzeichnet. Ob man das lustig findet oder nicht, ist genauso Geschmackssache wie die Wirtshausschmähs und -gerichte, der betroffenen Gastronomen und für eine rechtliche Einordnung unerheblich. Jedenfalls war das Manöver, das dem Publikum geboten wurde, nicht nur für dieses klar als Satire erkennbar, sondern auch dem Obersten Gerichtshof (OGH). Die FPÖ wählte weder Terrorismus noch Brandschatzung als Antwort, sondern klagte und gewann schlussendlich in der letzten Instanz durch eine Entscheidung des OGH. Die Tagespresse hätte mit ihrer Camouflage die Wirte getäuscht – in Summe ein sechsstelliger und damit für das kleine Medienunternehmen teurer Spaß, der mit vielen Solidaritätszeugnissen und neu abgeschlossenenen Abonnements honoriert wurde. Die Sympathie mit der Tagespresse ist angesichts ihrer langjährigen Höchstleistungen verständlich, befremdlich waren aber jene Reaktionen, die dem OGH und der FPÖ die Fähigkeit absprachen, Satire zu erkennen und in dem Entscheid eine Verletzung des Schutzes der Meinungsfreiheit und der Kunstfreiheit sahen. So leid es mir als Premium-Abonnent, Leser und Unterstützer der Tagespresse angesichts der entstandenen Kosten tut, aber diese Sichtweise ist Ausdruck mehrerer Trugschlüsse.
Schneller Denkfehler, langsamer Denkfehler
Zunächst einmal ist Satire auch als Kommunikation mit einem System aus Sender und Empfänger zu sehen. Das entsprechende Medium wird aus der Website und den Social-Media-Konten der Tagespresse gebildet. Der Brief ist in dem Fall nicht Medium, sondern Werkzeug. Er spiegelt nicht den eigentlichen satirischen Bedeutungsinhalt wider, dessen Zielpublikum auch nicht die niederösterreichischen Wirte waren. Deren vorgesehene Rolle wiederum bestand auch gar nicht darin, die Satire als solche zu erkennen, sondern möglichst getäuscht zu werden, um den Treffer noch besser zu landen. Insofern ist auch die Argumentation des Berufungsgerichts unverständlich, dass davon auszugehen sei, “dass die mit dem Schreiben konfrontierten Gastwirte seinen satirischen Inhalt als solchen erkannt hätten”. Das widerspricht ja den Bemühungen, die Irreführung jener im Kommunikationsprozess zum Inhalt gemachter Dritter zu gewährleisten.
Die Verwendung des Logos und Namens der Partei erfolgte nicht im Kern des satirischen Formates, sondern wurde in diesem eingekapselt dem eigentlichen Publikum präsentiert und im Brief selbst zu reinen Täuschungszwecken verwendet. Wäre die FPÖ keine politische Partei oder wäre die Operation unter Verwendung von Briefpapier irgendeiner anderen nicht-politischen Organisation erfolgt, dann ginge der gesellschaftspolitische Charakter der Satire verloren. Dann wäre es keine Satire mehr, sondern einfach ein Prank. Wären solche Streiche vom Recht der Ausdrucksfreiheit geschützt? Oder anders gefragt: Darf die FPÖ Briefe mit Namen und Erkennungszeichen der Tagespresse verschicken, um sie bei ihren Wählern zu verspotten?
Was darf Satire?
Bohrt man dem im deutschen Sprachraum weit verbreiteten, aber ziemlich sinnfreien Antwortreflex „Satire darf alles“ nach und versucht herauszufinden, wo die Grenzen von „alles“ liegen, dann wird gern die „Kunstfreiheit“ bemüht. Kunst! Sofort umweht die Ehrfurcht den schwachen Geist, der dem nächsten Denkfehler unterliegt. Es gibt nämlich keine Kunstfreiheit – zumindest keine, die sich mehr herausnehmen darf als jede andere nicht-künstlerische Ausdrucksform. Mengenlehre: Kunstfreiheit ist einfach als Teilmenge im „Recht auf freie Meinungsäußerung“ in der EMRK und in ähnlicher Formulierung in der österreichischen Verfassung abgedeckt. Das ist vollkommen ausreichend. Kunst soll als Absenderin keine erweiterte Form der Meinungsfreiheit genießen. Spiegelbildlich brauchen Religion oder Majestäten als Empfängerinnen keinen erweiterten Schutz vor Meinungsfreiheit. Egalitäre Rechtsprinzipien schließen eine separate ethische Bewertung nicht aus.
Ethische Praxis
Natürlich spielt die Motivation einer Äußerung eine gewichtige Rolle. Satire mit oder ohne Streich, wie sie die Tagespresse ausführt, kommt beim Satire-Publikum und den Objekten ihrer Verhöhnung anders an als eine bloße beleidigende Herabsetzung. Oft fällt diese Unterscheidung schwer, manchmal ist sie auch einfach zu erkennen, wie bei der einseitigen Verbissenheit des deutschen Erdoğan-Gedicht-Aufsagers, dem sichtlich mehr an einem gewissen Framing und der Erniedrigung von Personen liegt, als an ausbalanciert verteiltem Spott. Und genau diese Gerechtigkeit im Austeilen macht die Tagespresse sympathisch. Und – in all fairness – die FPÖ mag in diesem bedauernswerten Einzelfall zwar wehleidig sein, aber zieht in 99 anderen Fällen auch keine Klage in Erwägung.
Satire unterliegt in ihrer künstlerischen Freiheit denselben gesetzlichen Schutzbestimmungen, die auch alle anderen Ausdrucksformen genießen. Das schließt mit ein, dass Gesetze auch bemüht werden, um Fälle zu klären, bei denen sich dann doch einmal jemand geschädigt fühlt. Wer den Entscheid des OGH nicht nachvollziehen kann, sondern als Dammbruch hinstellt, verlangt nach einer Privilegierung mancher Ausdrucksformen. Diese darf es ebenso wenig wie erweiterten Schutz davor geben.
Radio-Athikan-Podcast
Zum Abschluss noch ein Hinweis auf den Radio-Athikan-Podcast. Es gibt ein paar schöne neue Epsioden: