Aus konfessionsfreier Perspektive gibt immer etwas zu berichten. Dafür sorgt unter anderem das beständige Abrutschen der christlichen Kirchen Richtung Bedeutungslosigkeit in Österreich und Deutschland, wo es seit letztem Jahr mehr Konfessionsfreie gibt, als Mitglieder der beiden großen Kirchen – eine Entwicklung, die wir auch für Österreich in den nächsten Jahren erwarten.
Was sich sonst noch getan hat in den ersten drei Monaten des Jahres 2025, hat mein Kollege Bálazs Bárány im Quartalsrückblick der Konfessionsfreien zusammengefasst.
Er erwähnt dort im Zusammenhang mit der immerwährenden Kopftuchdebatte “erzwungene Zeichen der Religionszugehörigkeit”. Ich bin ja der Meinung, die Formulierung gehört umgedreht, um der Kausalität gerecht zu werden. Im folgenden kurzen Text habe ich ein paar Gedanken zum Verhältnis Republik und religiöse Markierung formuliert.
Zuvor aber noch ein Blick nach England. Diese Textbildschere habe ich gestern in einer Westfield-Shoppingmall fotografiert. Im Text sind Kopfverhüllungen aus religiösen Gründen klar erlaubt, aber der abgebildete Jediritter (Mitte oben) wird mit einem weißen Kreuz markiert, was vermutlich ein Verbot zum Ausdruck bringen soll. Wie soll sich der Jedi nun verhalten? (Ein mitgeführtes Nudelsieb würde dieses Problem freilich einfach lösen.)
Dass derlei Differenzialismus in einer aufgeklärten Gesellschaft eigentlich nichts verloren hat und solche Schilder an dunkle Episoden der Geschichte erinnern, fällt vor allem jenen nicht auf, die Terroristen gerne mit vermeintlicher Apartheid exkulpieren, aber nichts dabei finden, im eigenen Land Nichtgläubige abzuwerten. In der Monarchie des Vereinten Königreichs darf uns das nicht wundern, aber die gleichen Regeln gelten auch für Pass- und Führerscheinfotos in Österreich.
Religionszugehörige Zeichen des Zwanges
Was als religiös motiviert gilt, genießt häufig gesellschaftliche, politische und gesetzliche Sonderbehandlung. Doch nicht alles, was aus dem Glauben heraus entsteht, ist freiwillig.
Die Glaubens-, Gewissens- und Weltanschauungsfreiheit gilt als in der liberalen Demokratie als unantastbares Grundrecht. Sie wird auch gerne, aber falsch synonym als Religionsfreiheit bezeichnet, was der Religion im Spektrum der Überzeugungen schon alleine sprachlich eine Ausnahmestellung verschafft. Dieser Umstand wird von Religionsgesellschaften gern als Atout ausgespielt. Wer sich auf die Religionsfreiheit beruft, darf mit Rücksicht rechnen – und nicht selten mit Ausnahmen. Dabei wird gern vergessen, dass sich hinter religiösen Traditionen, Symbolen und Markierungen oft nicht der Ausdruck eines Bekenntnisses verbirgt, sondern das genaue Gegenteil: Zwang.
Die Kopftuchdebatte ist ein Beispiel für diese Ambivalenz. Sie wird alle paar Jahre mit großem Aufwand geführt, weil es sich um eine Problemstellung handelt, die zwar nicht komplex ist, aber durch äußere Beobachtung alleine nicht mit Sicherheit abschließend geklärt werden kann. Frauen tragen Kopftücher aus modischen Gründen, religiöser Überzeugung und aus Zwang. Der liberale Reflex besteht darin, Selbstbestimmung zu achten und eine Entscheidung zur Verhüllung von erwachsenen Menschen auch einzufordern. Wer sich verschleiern will, soll das tun dürfen. Ein pauschales Verbot widerspräche diesem Grundsatz. Aber nicht alle Menschen sind in der Lage, diese Entscheidung selbstständig zu treffen und dann auch auszuführen.
Was bedeutet Eigenbestimmung für Minderjährige? Mädchen tragen Kopftücher in der Regel, weil es von ihnen erwartet wird. Eltern, Familienverbände oder das soziale Umfeld entscheiden – nicht das Kind. Die individuelle Motivation wird unterstellt, nicht hinterfragt. Die Schule, der Staat, das Rechtssystem reagieren oft mit höflicher Zurückhaltung, auch wenn der Druck auf die Einzelne sichtbar ist und es damit kein religiöses Symbol, sondern ein Zeichen des Zwanges ist.
Während bei der Mädchenverschleierung eine juristische Lösung, die den Zwang auflöst, aber die Selbstbestimmung berücksichtigt lässt, nur erschwert möglich ist – selbst wenn das Erreichen der Religionsmündigkeit mit 14 berücksichtigt wird – ist der Fall bei der rituellen Beschneidung sehr einfach: Sie ist ohne medizinische Indikation verboten und wird deswegen auch weniger euphemistisch Genitalverstümmelung genannt. Mit chirurgischer Endgültigkeit wird ein irreversibler Eingriff vorgenommen – ohne Einwilligung des Betroffenen, oft sogar ohne dessen Wissen. Hier kann die Religionsfreiheit keine Ausnahme schaffen. Es ist ein Eingriff in die körperliche Integrität, der nicht medizinisch, sondern mit dem Glauben an Übernatürliches begründet wird. Auch das ist ein religiöses Zeichen des Zwanges – sichtbar, dauerhaft und im Widerspruch zu geltendem Recht mit staatlicher Duldung. Aus gutem Grund sind Tätowierungen und Schönheitschirurgie vor dem 17. Lebensjahr auch mit einer etwaigen Zustimmung der Eltern verboten.
Das dritte Beispiel wird im noch knapp mehrheitlich christlichen Österreich auch alle paar Jahre diskutiert: das Kreuz im Klassenzimmer. In Schulen, aber auch Kindergärten und Kindebetreuungsstätten ist es gesetzlich verpflichtend, an der Wand anzubringen. Der Staat ordnet ein religiöses Symbol als standardmäßige Hintergrundausstattung öffentlicher Einrichtungen an. Auch dieses Zeichen ist kein freiwillig ausgewähltes. Die Kritik richtet sich folgerichtig auch nur gegen diesen Zwang.
Diese drei Beispiele – Kopftuch, Beschneidung, Kreuz – unterscheiden sich in Form, Tragweite und Wirkung. Doch sie haben eines gemeinsam: Sie zeigen, wie schwer es grundsätzlich säkularen und aufgeklärten Gesellschaften fällt, zwischen Religion als persönlicher Überzeugung und Religion als kollektiver Disziplinierungsform zu unterscheiden.
Ein Staat, der sich weltanschaulich neutral versteht, darf religiöse Zeichen nicht privilegieren – weder durch aktives Anordnen noch durch passives Wegsehen. Es ist nicht Aufgabe der Republik, religiöse Erziehungsziele zu sichern oder konfessionelle Normen über das Recht auf Selbstbestimmung zu stellen.
Wer Religion schützen will, sollte mit dem Schutz der Freiheit beginnen. Und das bedeutet, selbst darüber zu entscheiden, sich religiös zu markieren oder eben nicht. Wenn die Person für diese Entscheidung noch nicht alt genug ist, muss diese Entscheidung eben aufgeschoben werden.