Der Nikolaus-Daemon
Newsletter Nr. 100 – Spaghetti's Ready
Dass der 100. Newsletter meinen Namen im Betreff trägt, ist würdig und recht. Aber es geht hier nicht um mich, sondern um den aus Myra.
Nikolaus, du guter Strohmann
Sollte es wirklich eine gesellschaftliche Kontroverse geben, ob der Nikolaus Schulen und Kindergärten besuchen darf, dann geht diese an mir vorbei. Vielleicht auch mangels Betroffenheit. In meinem Leben gibt es keine Schulkinder und die Eltern von Schulkindern in meinem Leben sparen diese in Gesprächen mit mir großräumig aus. Falls es hier eine Holschuld gibt, habe ich das Kapitel in der “Fibel für Kinderfreie für gutes Benehmen gegenüber Eltern” sicher überblättert.
Katholische Panikattacken
Jedenfalls nehme ich auch aus Elternkreisen keine Nikolaus-Diskussionen wahr. Bei mir verfestigt sich eher der Eindruck, es handelt sich um Scheindebatten, die in den Panikräumen des rechtskatholischen Flügels halluziniert werden, um Politik zu machen. Österreichische Medien spielen das Thema verlässlich jedes Jahr weiter auf und gelegentlich wird meine Meinung als jemand, der gerne öffentlich das Verhältnis von Republik und Religion kritisiert, auch eingeholt.
“Soll der Nikolaus kommen”, hat mich der Standard heuer gefragt. Ich meine, er “soll nicht kommen, aber er kann”. Das heißt, es ist ziemlich egal, ob er kommt oder nicht, wenn ich die Fragestellung durch den Filter angewandter Laizität betrachte, was meine Grundhaltung reflektiert. Wenn man die Herausforderungen im Verhältnis zwischen Republik und Religion sortiert, dann landet der Nikolaus nämlich verlässlich am unteren Ende der Prioritätenliste.
Die Nikolaus-Debatte ist aber weniger eine Provokation als ein Symptom. Es zeigt, dass Politik und Medien sich lieber an harmlosen Symboldiskursen abarbeiten, als die wirklichen Bruchstellen zwischen säkularem Staat und religiösen Institutionen anzusprechen: strukturelle Privilegien, Sonderbestimmungen für Kirchen und Religionsgesellschaften, finanzielle Verflechtungen oder die Frage, warum in einer pluralistischen Republik bestimmte Weltanschauungen in Gesetzesform gegossen sind und andere nicht. Und ob dieser differenzialistische Zugang überhaupt noch zeitgemäß ist.
Grinch, Krokodil, Krampus
Der Nikolaus eignet sich gut als Ersatzarena. Er ist konfliktarm, folkloristisch überformt und lässt sich außerdem gut bebildern. Der Laizist wird dann gerne in die Rolle des Spielverderbers gestellt. Nicht böswillig, aber doch dramaturgisch praktisch. Er soll den säkularen Krampus spielen, der dem Land die Religion und das Brauchtum nehmen will. Mein zweiter Vorname ist Daemon, denn wir sind viele. (Lukas 8,30)
Aber meine tatsächliche Position ist erstaunlich langweilig: Der Nikolaus ist kein Problem. Jedenfalls kein relevantes. Solange Kinder nicht missionarisch belehrt, bewertet oder religiös sortiert werden, ist sein Erscheinen im Kindergarten oder der Schule unbedenklich.
Naturgemäß stammt der Brauch aus einer religiösen Tradition. Und ja, der “Heilige” Nikolaus verweist auf christliche Inhalte. Aber daraus folgt nicht automatisch, dass sein Auftreten in öffentlichen Bildungseinrichtungen ein Ausdruck kirchlicher Privilegien wäre. Viele Traditionen haben eine religiöse Biografie, ohne heute noch zwingend eine religiöse Funktion zu erfüllen. Nicht jeder Brauch, der christliche Wurzeln hat, muss aus der Sphäre der institutionellen, republikanischen Öffentlichkeit entfernt werden. Weihnachten gehört ja auch uns allen und ist längst nach vorheriger Aneignung durch das Christentum wieder in ein universelles Brauchtum überführt worden, das wahlweise religiös oder einfach traditionell angelegt werden kann. Das mag manchen Katholiken nicht passen, die Feiertage gerne an die Vereinsmitgliedschaft geknüpft sehen, tatsächlich stammen aber Atheisten und Konfessionsfreie gleichermaßen von Gläubigen ab und dürfen mit Tradition umgehen, wie es ihnen beliebt.
Jenseitiger Ballast
Diese Perspektive steht im Widerspruch zu einem feurigen Atheismus und vehementen Laizismus, der alles vermeintlich Religiöse auch aus dem persönlichen Sichtfeld verbannen will. Ich halte das für nicht notwendig. Tradition kann in einer aufgeklärten Gesellschaft in einem säkularen Staat problemlos weiterwirken. Es besteht keine Notwendigkeit eigene Rituale zu entwickeln, wie Alain de Botton in seinem Buch “Religion for Atheists” empfiehlt, es reicht völlig vorhandene zu (re-)profanisieren und den übernatürlichen Ballast abzuwerfen.
Wer Traditionen abschaffen möchte, soll dafür gute Gründe haben und nicht nur den gesunden, aber auch reflexhaften Entreligionifizierungsimpuls. Ein moderner säkularer Staat muss nicht alles eliminieren, was Spuren seiner religiösen Vergangenheit trägt.
Ein Laizismus, der Religiöses vollständig aus der staatlichen Sphäre entfernen will, obwohl er religiöse Weltanschauung nicht privilegiert, widerspricht sich in seiner – aus meiner Sicht notwendigen – Indifferenz gegenüber persönlicher Moral selbst. Deswegen sollte ein moderner säkularer Staat auch nicht exakt dem französischen Vorbild eines abwehrenden Laizismus folgen, sondern eine Laizität 2.0 entwickeln. Aber das ist ein anderer Text.
In diesem Sinn: Happy Unbefleckte Empfängnis!
Spaghetti’s Ready
Mein guter Freund Mike Reason, der auch die Dokumentation “I, Pastafari” produziert hat, hat vor wenigen Tagen ein Kinderbuch mit dem Titel “Spaghetti’s Ready” veröffentlicht. Wer es vor Weihnachten noch haben will, sollte es bei Bezos als Paperback bestellen. Darum geht’s:
Mama, Papa... Gibt es den Weihnachtsmann wirklich?
Als zwei skeptische Kinder beginnen, die Weihnachtsgeschichten, die ihnen erzählt wurden, in Frage zu stellen, taucht ein unerwarteter Besucher auf, der ihnen hilft, die Wahrheit herauszufinden – das Fliegende Spaghettimonster. Von den alten römischen Saturnalien über Nikolaus von Myra bis hin zu Odin und dem Weihnachtsmann untersucht „Spaghetti’s Ready For The Truth About Santa“, wie sich kulturelle Traditionen im Laufe der Zeit entwickelt haben, um den Weihnachtshelden zu formen, den wir heute kennen und lieben.
https://thespaghettimonster.com
Calendarium Viennense
2026 naht. Es wird Zeit ein, zwei oder fünfzehn Exemplare des Calendarium Viennense zu bestellen: calendariumviennense.com





